Die deutsche Autoindustrie: liegt die Rettung nur im Luxus?
Als wir vor mehr als 5 Jahren begonnen haben, lag die deutsche Autoindustrie in Punkto Elektromobilität noch im Tiefschlaf. Sicher, BMW und VW hatten die ersten Fahrzeuge im Portfolio, die waren aber verglichen mit Tesla, Renault und Nissan technisch eher zweite Wahl. Die chinesischen OEMs waren nicht einmal am Horizont zu sehen. Im ganzen Jahr 2018 wurden insgesamt 36.062 Elektrofahrzeuge zugelassen. Das Ranking der Zulassungen führte VW an, gefolgt von Smart und Renault. Die drei OEMs stellten mehr als die Hälfte aller Zulassungen. Mercedes-Benz verkaufte immerhin ganze 85 (!) Fahrzeuge.
Apropos Mercedes Benz & BMW
Mercedes war bei der Elektromobilität mal recht weit vorne. Durch die ursprüngliche 10-Prozent-Beteiligung an Tesla hatte man sehr früh Zugang zum Know-how der Amerikaner. Man machte allerdings nichts draus. BMW stampfte frühzeitig ein vorzeigbares Team aus dem Boden, das den i3 schuf, der sich lange Zeit mit dem Renault ZOE ein spannendes Rennen bei den Zulassungen lieferte. Trotzdem ließ BMW unter Klaus Fröhlich, Herbert Diess’ Nachfolger als Entwicklungsvorstand, die Elektromobilität schnell einschlafen, die Protagonisten der frühen Elektrorevolution in München verliessen darauf hin das Unternehmen und engagierten sich in USA und China. Unter anderem landete Carsten Breitfeld, ein ehemaliger BMW-Manager beim chinesischen Start-up Byton, das allerdings nach Vorstellung eines Prototypen in die Insolvenz ging.
Funfact: Die 10-Prozentige Beteiligung an Tesla wäre heute weit mehr Wert als Mercedes-Benz inklusive der Lkw-Sparte. Und da sind wir schon beim Thema.
Ist die Luxus-Strategie der deutschen Premium-Hersteller zielführend?
Mercedes-Benz hat unter Ola Källenius erklärt, dass man sich wieder auf den Luxus konzentrieren wolle. Der Management-Berater Prof. Dr. Pero Mićić erklärt in einem 20-Minütigen Youtube-Vortrag, warum genau dies in Zeiten der Elektromobilitäts-Transformation die einzige Möglichkeit für die Stuttgarter war und ist, weiterhin im Geschäft zu bleiben. Und das hat mehrere Gründe.
Einmal ist die Marke Mercedes-Benz eine der wertvollsten Auomobilmarken weltweit und Synonym für die Erfindung des Automobils und dessen stetiger Weiterentwicklung. Die Ober- und Luxusklasse ist in der DNA der Stuttgarter wie bei keinem anderen OEM verankert. Gegen die günstigen Massenhersteller aus China aber auch Teslas Strategie immer günstigere Elektrofahrzeuge herzustellen, wären Mercedes-Benz aber auch andere klassische Hersteller wie BMW und Audi komplett verloren gewesen. Einesteils fehlt das nötige Know-how bei so wichtigen Dingen wie der Digitalisierung (Betriebssysteme, autonomes Fahren) und andererseits können chinesische OEMs dank anderer Rahmenbedingungen weit günstiger produzieren. Der Massenmarkt scheint also für die Chinesen und die Musk-Company reserviert.
Ist der Massenmarkt für die Deutschen verloren?
Das scheint der Fall zu sein. Denn VW, als Vertreter des Massenmarkts, scheint derzeit in erhebliche Schwierigkeiten zu kommen. Die ID-Serie ist in Punkto Preis/Leistung und Infotainment-Systemen immer weniger wettbewerbsfähig auf dem internationalen aber auch deutschen Parkett. Aufstrebende chinesische Unternehmen wie BYD, GWM aber auch Start-ups wie XPeng und NIO sind dabei die lukrativen Mittelklasse- und Oberklassen-Plätze zu besetzen. Noch sind sie allerdings in Europa nur sporadisch vertreten. Wer die Reaktionsgeschwindigkeit der chinesischen Unternehmen allerdings kennt, der weiß, dass wir uns in einer gefährlichen Phase befinden: der Ruhe vor dem Sturm.
e-engine meint: Dr. Pero Mićić hat die Problematik des deutschen Automobilmarkts sehr schlüssig am Beispiel Mercedes-Benz zusammengefasst und dabei auf die Gefahren hingewiesen. Zwar scheint die Luxus-Strategie Stuttgarts und der anderen deutschen Premium-OEMs derzeit aufzugehen, aber die Zukunft könnte vieles nivellieren. Der Verkauf des traditionsreichsten deutschen Automobilherstellers ist dabei nur eine der Gefahren, die Mićić sieht. Prädikat: unbedingt ansehen.