NIO ET7 Debüt in Europa – Grund zu Besorgnis?
Chinesische Elektroautohersteller schreiten äußerst dynamisch voran. Kunststück. Sie müssen auch alte „Zöpfe“ nicht abschneiden und können in der Regel bei Null anfangen. Wer allerdings bei „Null“ anfängt, muss auch eine Menge Stufen gleichzeitig nehmen, um den Anschluss an die klassischen OEMs nicht zu verlieren. NIO ist eines dieser chinesischen Start-ups, das durchaus auf eine (kurze) Vergangenheit mit Höhen und Tiefen zurückblicken kann. Eine Pleite stand da auch schon mal im Raum. 2019 war das Start-up fast schon am Ende angelangt, aber eine Finanzspritze der chinesischen Regierung in Höhe von 1,4 Mrd. US-Dollar rettete das Unternehmen.
Einer der am schnellsten wachsenden Autohersteller
Seitdem kam der Elektroautohersteller zügig mit seiner Weiterentwicklung voran. 2021 markierte den Anfang der globalen Expansion, man erreichte mit 91.429 Fahrzeugen einen neuen Aiuslieferungsrekord. Allein im Zeitraum von Oktober bis Dezember 2021 lieferte man 25.034 Fahrzeuge aus. In den ersten beiden Monaten des Jahres betrugen die Auslieferungen bereits 15.783 Fahrzeuge, dabei rüstet man sich erst noch für den Sturm auf den europäischen Markt.
Wie erobert man den prestigeträchtigen deutschen Markt?
Durch Ideen und konzertierte Maßnahmen. Noch im März wird die Auslieferung des neuen Flaggschiffs ET7 beginnen. Der ET7 wurde im Januar 2021 mit viel Brimborium vorgestellt und soll den Hersteller weltweit in die Premiumklasse katapultieren. Die Chancen dafür stehen gut. Bis zu 1.000 Kilometer Reichweite sollen mit der größten Batterie (150 kWh) möglich sein, was noch zu beweisen wäre. Dass aber die Chinesen auf eine solche gigantische Batterie gar nicht angewiesen sind, weil ihre Fahrzeuge zudem den schnellen Batteriewechsel in einer speziellen Station beherrschen, macht die Ankündigung dieser theoretischen Reichweite um so pikanter. Denn durch ein cleveres Abo kauft man sich einfach das Fahrzeug mit kleinster Batterie und „gradet“ zeitweise „up“, wenn man mal weiter wegfahren muss …
Ende 2021 gab es 733 sogenannte Power Swap Stations, über 5,5 Millionen „swaps“ wurden durchgeführt. Darüber hinaus setzt auch NIO auf eigene „Supercharger“. Mehr als 6.000 dieser Charger sollen bis Ende 2022 installiert sein, dazu kommen mehr als 10.000 Destination-Charger und die Power Swap Stationen sollen sich mit mehr als 1.300 Standorten mehr als verdoppeln.
Der NIO ET7 probt den Sturm auf die deutschen Nobelmarken
Das Design des NIO ET7 ist unaufgeregt, schnittig und mehrheitsfähig. Die Preise starten bei rund 64.000 Euro. Mit seiner kleinsten Batterie, die 75 kWh Kapazität hat, soll der Stromer eine (NEFZ) Reichweite von 550 Kilometern haben. Die Fahrleistungen der über 5 Meter langen Luxuslimousine sind laut Youtube-Bericht von Fully Charged-Reporter Elliot Richards ohnehin beeindruckend. Den Spurt von 0 auf 100 schafft der Stromer in nur 3,8 Sekunden. Der Bemsweg aus 100 km/h soll dabei nur 33,5 m betragen (Porsche 911 GT3 RS: 28,2 Meter). Akademische Werte, sicherlich, aber sie zeigen, dass dieser chinesische Wagen die deutschen OEMs auf dem Gebiet der Elektromobilität nicht nur herausfordern kann. Der gesamte Youtube-Bericht hört sich an wie ein Abgesang auf Audi, BMW & Co. Wir wären da zumindest ein bißchen vorsichtig.
Marke oder dynamisches Leistungsversprechen?
Der deutsche Autofahrer ist altmodisch. Für ihn zählen Marke und Renomée und nicht Versprechungen von Newcomern. Allerdings zeichnet sich schon seit einiger Zeit ein Umdenken ab, vor allem unter den „Early Adoptern“, die vom schnöden Verbrenner auf den Stromer umsteigen. Die Beliebtheit von Marke und einstige Richtschnuren wie Spaltmaßen nehmen rapide zugunsten Effizenz und ausgefuchster Digital- und Elektrotechnik ab. Derzeitige Gewinner sind vor allem Tesla und die koreanischen Marken um die Hyundai Motor Group. VWs Einstieg darf zwar als gelungen bezeichnet werden, das Preis-/Leistungsgefüge jedoch dominieren andere. Die Wolfsburger, aber auch Audi und BMW profitieren von ihrem Verbrenner-Nimbus.
e-engine meint: ein leichter Durchmarsch wird es für die chinesischen Hersteller inklusive NIO nicht. Unbekannte Newcomer müssen sich in „entwickelten“ Automobilmärkten erst beweisen. Man erinnere sich an das hiesige Debüt von Lexus, bzw. Tesla. Hyundai und Kia haben sich ihren Nimbus als formidable Autohersteller ebenfalls erst erkämpfen müssen. Und auch der Markteintritt der koreanischen Nobelmarke Genesis ist noch lange nicht in trockenen Tüchern. Was NIO allerdings von den anderen unterscheidet, ist die Vehemenz, mit der das Unternehmen auf neue Märkte drängt. Das „Gesamtpaket“ ist nämlich gegenüber deutschen OEMs bereits mehr als nur auf Augenhöhe. Die Batteriewechsel-Fähigkeiten indes machen aus einem ohnehin schon tollen Luxusstromer einen Reichweitensieger par Excellence. Immer schön den Rückspiegel im Auge behalten, liebe deutsche OEMs. Denn wie heißt es so schön? „Objects in the rear view mirror may be closer than they appear!„