Dienstag Special: Das Problem der Deutschen mit China, am Beispiel des elektrischen 3er-BMW eDrive 35L.
Dienstag Special: Das Problem der Deutschen mit China, am Beispiel des elektrischen 3er-BMW eDrive 35L.
26. Juni 2024
Freitag Magazin: Rimacs "Verne". Northvolts "Alptraumwochen". Polestar 2 bekommt erneute Modellpflege.
Freitag Magazin: Rimacs „Verne“. Northvolts „Alptraumwochen“. Polestar 2 bekommt erneute Modellpflege.
28. Juni 2024

Donnerstag Special: Was bedeutet der VW – Rivian-Deal eigentlich? „An educated guess“.

Donnerstag Special: Was bedeutet der VW – Rivian-Deal eigentlich? "An educated guess".

Die Ankündung des Joint Ventures zwischen VW und Rivian hat nicht nur den Börsenkurs der Amerikaner beflügelt. Was aber kann man tatsächlich zukünftig von der Zusammenarbeit erwarten?

Die Bombe platzte in den späten Abendstunden des 25. Juni. VW würde zusammen mit dem US-Elektrofahrzeughersteller Rivian ein Joint Venture gründen, um Software-Defined Vehicle (SDV)-Plattformen der nächsten Generation zu schaffen, die in zukünftigen Elektrofahrzeugen beider Unternehmen eingesetzt werden können. Dazu würde VW, sollten die Vereinbarungen tatsächlich auch von behördlicher Stelle freigegeben werden, zunächst 1 Milliarde US-Dollar in Rivian durch eine unbesicherte Wandelanleihe investieren. Diese würde nach den behördlichen Genehmigungen dann unter „bestimmten“ Bedingungen in Stammaktien von Rivian umgewandelt. 

Donnerstag Special: Was bedeutet der VW – Rivian-Deal eigentlich? "An educated guess".

Machten den Deal perfekt: die beiden CEOs Oilver Blume (VW-Konzern) und RJ Scaringe, Gründer und CEO Rivian.

Aktienwert von Rivian

Dazu muss man wissen, dass die Marktkapitalisierung von Rivian per 26. Juni 2024 rund 11,9 Mrd. US-Dollar beträgt. VW möchte aber im Rahmen der Transaktion weitere 4 Mrd. US-Dollar investieren. Dabei werden zusätzliche Investitionen von bis zu 2 Mrd. US-Dollar in die Stammaktien von Rivian voraussichtlich in zwei Tranchen von jeweils 1 Mrd. Dollar in den Jahren 2025 und 2026 erfolgen. Die Investitionen von 2 Mrd. US-Dollar im Zusammenhang mit dem Joint Venture wird voraussichtlich zwischen einer Zahlung zu Beginn des Joint Venture und einem im Jahr 2026 verfügbaren Darlehen auftgeteilt. Soweit die finanziellen Implikationen.

Donnerstag Special: Was bedeutet der VW – Rivian-Deal eigentlich? "An educated guess".

Rivians neues Infotainment-Interface hat viel Lob erhalten. Im Gegensatz zum Wettbewerb setzt man nicht auf hyperrealistische Renderdarstellungen sondern auf klare Linien mit Comic-Charakter.

Der „digitale“ Wert von Rivian

Rivian wird immer gerne als härtester Wettbewerber von Tesla betrachtet. Tatsächlich jedoch verkaufte das „SUV-Unternehmen“ vom 1. Quartal 2021 bis einschließlich zum 1. Quartal 2024  gerade mal knapp 85.000 Einheiten. Faktisch handelt es sich um einen Nischenabieter, der in den letzten beiden Quartalen sogar mit Rückgängen zu kämpfen hatte. Der digitale Wert des Unternehmens jedoch liegt im Dunkeln, denn weder bei den autonomen Fähigkeiten noch beim Infotainment hat Rivian bislang herausragende Leistungen gezeigt – wohl aber bessere Leistungen als VW und die bisherigen Ergebnisse seiner speziellen „Digitalisierungs-Unit“ CARIAD. 

Branchinsider halten den Schachzug für gut

Stichwort CARIAD. Das Unternehmen (Kurzform für CAR I Am Digital), das die Automotive-Software-Marke des VW-Konzerns sein sollte, blickt auf recht magere Ergebnisse zurück. Das mag auch daran liegen, dass die CEOs in schneller Folge wechselten und je nach VW-Konzern-CEO hofiert oder in Ungnade fielen. Pikanterweise verbuchte CARIAD allein im Jahr 2022 einen operativen Verlust von 400 Mio. Euro – mithin ist die erste Milliarde, die VW in Rivian investieren will, gut angelegt. Das sehen auch Branchenkenner so. Der erste Kommentar eines nicht genannt werden wollenden Insiders: „Guter und notwendiger Schachzug. Von einer kleinen Edelschmiede zum Millionenfertiger ist es allerdings ein weiter Weg. Das miteinander zu verheiraten braucht integrative Prozesse, Methoden, Tools und vor allem Manager!“

Gerade letzteres könnte sich als Stolperstein erweisen, denn das Hauptproblem der deutschen Automobilindustrie, so der Insider weiter, sei immer noch, dass die wichtigsten Lieferanten vom Problem und nicht der Lösung lebten. Würden sie auf den rechten Pfad des integrierten Engineerings einschwenken und Aufgaben wegautomatisieren, würden sie sich faktisch selbst kannibalisieren.

Musk Weg mit Tesla ist die Blaupause

Gibt es tatsächlich nur einen Weg, nämlich den der Musk-Company, möglichst viel selbst zu entwickeln? Das ist der kniffligste Part, denn Musks Integration und Zusammenfassung der peripheren Aggregate in ein upgradefähiges Gesamtsystem machte das berühmte Over-the-Air-Software-Update überhaupt erst möglich, weil es die Komplexität und Vielfalt der Interfaces und Embedded Services rigoros draussen hielt und verienfachte.

Zuvor hatte in den klassischen OEM-Chefetagen niemand dran gedacht, ja man erteilte sogar dem „Smartphone auf Rädern“ eine zornige Abfuhr, wie zuletzt der ehemalige BMW Entwicklungsvorstand Fröhlich. Zulieferer präsentierten (siehe oben) Lösungen, die mit embedded und proprietärer Software arbeiteten – und damit über ein komplettes Softwareupdate nicht ansteuerbar waren. Bei Tesla und modernen Architekturen, wie in chinesischen Fahrzeugen der neuesten Generation, werden weit mehr Funktionen zentral zusammengefasst. Nur so war es beispielsweise möglich, die anfänglich miese Bremsleistung des Model 3 durch ein OTA-Update dramatisch zu verbessern.

Donnerstag Special: Was bedeutet der VW – Rivian-Deal eigentlich? "An educated guess".

Rivian R3X mit Tri-Motor. Das ist quasi der Lanica Delta HF Integrale der 2025er-Jahre und definitiv der Held der Präsentation der zukünftigen Modellpalete. Für den R3 sind allerdings hohe Investitionen nötig um in die Massenfertigung einzusteigen. Die Finanzspritze von VW könnte hier tatsächlich für einen „Boost“ sorgen.

Hohe Anforderungen

RJ Scaringe, Gründer und CEO von Rivian sieht allerdings den Druck realistisch, der sich mit dem Joint Venture aufbaut: „Es wird erwartet, dass diese Partnerschaft nicht nur unsere Software und die damit verbundene zonale Architektur durch die globale Reichweite des Volkswagen-Konzerns einem noch größeren Markt zugänglich macht, sondern auch dazu beiträgt, unseren Kapitalbedarf für ein erhebliches Wachstum zu sichern. Rivian wurde gegründet, um der Welt durch überzeugende Produkte und Dienstleistungen zu helfen, von fossilen Brennstoffen wegzukommen, und diese Partnerschaft passt hervorragend zu dieser Mission.“

Ob das Oliver Blume, CEO des VW-Konzerns das genau so sieht? Aus seinem kurzen Statement zur Ankündigung des Engagements in Rivian lässt sich auch herauslesen, wer die größeren Lasten zu schultern hat: „Unsere Kunden profitieren von der gezielten Partnerschaft mit Rivian zur Schaffung einer führenden Technologiearchitektur. Durch unsere Zusammenarbeit werden wir die besten Lösungen schneller und zu geringeren Kosten in unsere Fahrzeuge bringen. Wir handeln auch im besten Interesse unserer starken Marken, die mit ihren kultigen Produkten begeistern werden. Die Partnerschaft fügt sich nahtlos in unsere bestehende Software-Strategie, unsere Produkte und Partnerschaften ein. Wir stärken damit unser Technologieprofil und unsere Wettbewerbsfähigkeit.“

Während die Amerikaner durch frisches Geld einen Sprung nach vorne erwarten, wünschen sich die Deutschen also endlich eine adäquate Software- und Technologiearchitektur – übrigens genau das, was die Geldvernichtungsmaschine CARIAD eigentlich hätte schon lange liefern sollen. Was uns zu der Frage bringt:

Sind die Deutschen zu doof für exzellente Automotive-Software?

Kaum. Es ist diese deutsche Management-Kultur der Betulichkeit und des „das haben wir schon immer so gemacht“, die hier in erster Linie einer exzellenten Lösung im Weg steht, denn deutsche Entwickler machen im Ausland, speziell USA und China durchaus Strecke. Die in Deutschland entwickelten System der kleinen aber feinen Mittelständler werden im eigenen Land kaum anerkannt. Wohl aber in China, wo beispielsweise ein Fahrzeug von einem solchen „Hidden Champion“ von Anfang an modellbasiert in Rekordzeit entwickelt wurde. Aber zurück zum Thema.

Donnerstag Special: Was bedeutet der VW – Rivian-Deal eigentlich? "An educated guess".

Rivian als Auftragsfertiger für den Amazon-Van. Denn sieht man auch in Deutschland immer häufiger.

Ist CARIAD nun obsolet?

Das ist die Million-Dollar-Frage. Denn viele dieser groß angekündigten Joint Ventures verlaufen im Sande, entweder weil die Protagonisten wechseln oder die kulturellen und Mentalitäts-Unterschiede zu groß sind. So wurde im September 2022 ein Joint Venture zwischen Mercedes-Benz Vans und Rivian angekündigt, die Rolle Rückwärts folgte keine 3 Monate später, als Rivian die Absichtserklärung zur Zusammenarbeit einseitig kündigte.

Es ist also äußerst wichtig für VW einen Plan B zu haben, auch wenn der Unterhalt von CARIAD weiter wenig effizient erscheint. So soll die Entwicklung der Assistenzsysteme für die Oberklasse-Töchter Audi und Porsche erst einmal parallel weiterlaufen, erst beim künftigen VW-Kernmodell Trinity soll eine „einheitliche“ Version 2.0 von CARIAD zum Einsatz kommen. Das könnte bei einer schnelleren Rivian/VW-Pace durchaus obsolet werden. 

Wie immer ist bei Joint Ventures zwischen klassischen und Start-up Unternehmen Vorsicht angesagt. Die Möglichkeiten sind tatsächlich gigantisch – allein das Management in den klassischen OEMs jedoch ist – wie viele Beispiele in der Vergangenheit zeigten – in der Lage entweder erfolgreich zu agieren oder noch mehr Porzellan zu zertöppern. Bei VW sind da leichte Zweifel berechtigt. Lassen wir uns überraschen.

Text: Bernd Maier-Leppla
Fotos: Rivian, VW, Tesla

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Cookie Consent mit Real Cookie Banner