Muss es immer Tesla sein?
Engineering Explained ist einer dieser Youtube-Kanäle, der ein Muss für alle Technik-Freaks ist. Das Thema Elektromobilität liegt Jason Fenske am Herzen, auch wenn alle Fahrzeug-Technologien bei ihm eine Rolle spielen. Fenske, das sollte man vorausschicken, besitzt ein Tesla Model 3, was vermutlich erklärt, warum er mit dem VW ID.4-Testwagen so gar nicht zufrieden war. Das lag aber nur teilweise am reinen Fahrerlebnis.
Die Ausgangssituation ist schnell erklärt. Er selbst stellte sich die Frage, ob es immer ein Tesla sein müsse, und wollte sich und seinem Publikum beweisen, dass auch andere Hersteller inzwischen ein richtig gutes Stromererlebnis bieten können. Die Betonung liegt auf Stromererlebnis. Denn Fenske ist der Überzeugung dass man den Ottonormalverbraucher nur dann vom Elektroauto überzeugen kann, wenn das Gesamterlebnis besser ist, als sein bisheriges. Und das dürfte nach Betrachtung des Beitrags schwierig werden.
VW hatte sich im Zuge des Dieselskandals verpflichtet 2 Mrd. US-Dollar in eine neues Ladenetz, Electrify America, zu investieren. Electrify America ist ein gutes Netz und lässt sich durchaus mit dem Supercharger-Network von Tesla vergleichen. Der Teufel jedoch, liegt im Detail. Wer Teslas Supercharger-Netzwerk gewöhnt ist, der macht sich keine Gedanken über Probleme am Charger. Einstecken und läuft. Das ist das Apple-Prinzip. Alles andere übernehmen kleine digitale Helferlein im Hintergrund. Bei Electrify America funktioniert das übrigens auch so. Wer einen Ford Mustang Mach-E fährt, der braucht sich über irgendwelche Zugangsdaten etc. auch keine Gedanken machen. Er steckt den Ford ein und alles läuft ähnlich ab, wie beim Supercharger nebenan.
Und der ID.3? Nun ja. Digitalisierung, Convenience und vor allem integriertes Softwaredenken ist dem deutschen Softwareentwickler in der Regel fremd. Es muss funktionieren, wie, interessiert ihn meistens nicht. Das dürfte auch der Grund sein, weshalb man ein Smartphone und viel Geduld benötigt um am firmeneigenen Ladenetz VWs einen VW aufladen zu können. Denn einstecken und läuft, gibt’s da noch nicht.
Fenske ist sich sicher, dass mit zukünftigen OTA-Updates hier Abhilfe geschaffen werden kann, aber derzeit ist der Einsatz eines ID.4 auf der Langstrecke der blanke Horror. Auch die Navigation bei voreingestellten Routen funktioniert leider nicht so, wie man sich das vorstellt. So gibt das System zwar an, dass nachgeladen werden muss, spart aber aus unerfindlichen Gründen die Schnelllader des eigenen Netzes aus und schlägt allen Ernstes Ladepunkte mit 7,5 kW Ladeleistung vor. Wer gerne eine Zwischenstopp von 9 Stunden macht, für den ist das kein Problem. Für 99,9999 Prozent aller anderen Kunden ein Alptraum. Fenske ist fair in seiner Einschätzung. Er bleibt ruhig und erklärt nachvollziebar, warum VW einfach noch meilenweit vom Ziel entfernt ist. Was aber wirklich nachdenklich stimmt: es hakt offenbar an grundlegenden Dingen. Muß es also Tesla sein? Formulieren wir um. Es muß (derzeit) nicht unbedingt VW sein.