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Erstaunlich: Autonomes Fahren gibt’s schon seit fast 100 Jahren?

Erstaunlich: Autonomes Fahren gibt’s schon seit fast 100 Jahren?

Autonomes Fahren gibt’s schon seit fast 100 Jahren: Bereits 1921 wurde das erste Automobil ferngesteuert. In den 1930erJahren plante man Autobahnen mit fahrerlosen Autos. Aus den Utopien wurde im 21. Jahrhundert Realität.

Erstaunlich: Autonomes Fahren gibt’s schon seit fast 100 Jahren?

In den frühen 70er Jahren waren Dystopien eher selten. Erst mit der Ölkrise 1973 änderte sich vieles grundlegend. Zukunft – das Bild der Welt von morgen, Bertelsmann 1972

In meiner Jugend, Anfang der 1970er Jahre, bekam ich von meinem Großvater ein tolles Buch geschenkt: „Zukunft – Das Bild der Welt von morgen„. Dieses Buch beinhaltete Geschichten und zukünftige Erfindungen, die wie pure Science Fiction anmuteten. Beinahe jeder Aspekt der Zukunft wurde gestreift und opulent bebildert beschrieben. Was mich noch heute an dem Buch fasziniert, ist die positive Grundeinstellung – auch wenn mir das Kapitel über den Club of Rome und seine Prognosen ein gehörige Portion Angst einjagte. Dennis Meadows’ Buch von 1972 „Die Grenzen des Wachstums“ sagte den Weltuntergang in nicht weniger als 100 Jahren voraus. Die Rohstoffe würden schon 2025 zur Neige gehen. 1973 markierte die Ölkrise tatsächlich ein Umdenken. Es sollte nur von kurzer Dauer sein. Trotzdem ist der Tenor von „Zukunft“ sehr optimistisch – Wissenschaft und Technik sollten den Zusammenbruch der Zivilisation verhindern. Das galt auch für das Kapitel zum Verkehr und autonomen Fahren. 

Erstaunlich: Autonomes Fahren gibt’s schon seit fast 100 Jahren?

Bereits im Mai 1938 prognostizierte man für 1988 die „automatisierte Autobahn“. © Charles Shopsin

Fahrerloses Autofahren schon 1921

Auf Amazon Prime läuft derzeit ein SF-Movie mit dem vielsagenden Titel „The Vast of Night„. Dabei geht’s um die UFO-Problematik der 1950er Jahre, Entführungen, Sichtungen und andere Dinge. Die beiden Protagonisten unterhalten sich dabei am Anfang über Erfindungen, die die Zukunft lebenswerter machen sollen. Unter anderem Autos, die auf Highways ohne den Eingriff des Piloten von A nach B fahren können. Die Heldin wurde nach der Quelle gefragt und zog ein Journal mit dem Titel „Mechanix Illustrated“ heraus. Heutzutage liegt das Tablet neben der Fernbedienung, gegoogelt und voilà die Idee zu dieser Abhandlung war geboren. Wann wurde autonomes Fahren eigentlich „erfunden“?

Immer wieder das Militär

Zurück zum Jahr 1921. Am 5. August 1921 wurde auf der McCook Airforce Basis das erste Mal ein Auto mit einer Funkfernbedienung gesteuert. Das markiert in etwa den Anfang des fahrerlosen Fahrens. Natürlich war der Wagen genau genommen kein autonomes Vehikel. Der Pilot sass eben nicht IM Auto, sondern steuerte das Fahrzeug vom Straßenrand aus. 

Es folgten weitere Versuche mit ferngesteuerten Automobilen in den 1930er Jahren. Unter der Führung eines gewissen Captain J.J.Lynch wurden zwischen 1931 und 1949 zahlreiche Demonstration eines ferngesteuerten Autos in 37 der 48 US-Bundesstaaten abgehalten. Für die damalige Zeit vermutlich eine absolute Revolution.

Nur ein fahrerloses Auto ist ein sicheres Auto

Schon damals setzte sich die Überzeugung durch, dass nur ein fahrerloses Automobil ein wirklich sicheres Auto sein könne – es würde alle Probleme, Fehler und Defizite eines menschlichen Piloten eliminieren. In dieser Zeit war das natürlich pure Utopie. Es gab keine Computer und schon gar nicht war an künstliche Intelligenz zu denken. Bekannt war die aber bereits theoretisch in Form des Roboters (Tschechisch „robota“ = „Frondienst“, inzwischen heißt das auch „Roboter“). Schon 1920 hatte der tschechische Autor Karel Čapek sein Buch R.U.R. geschrieben, das sich um künstliche Menschen und Androiden, drehte. Deshalb wurde das automatisierte Auto auch bald „Robotcar“ genannt.

Erstaunlich: Autonomes Fahren gibt’s schon seit fast 100 Jahren?

Popular Science Cover aus dem Jahre 1938 © Charles Shopsin

1938 Highways of the Future

In der Mai-Ausgabe von 1938 von Popular Science fand sich ein interessanter Artikel über ein zukünftiges zwölfspuriges Schnellstrassennetz in 50 Jahren in der Zukunft. Das sollte die USA durchziehen und würde von der Atlantik- zur Pazifikküste reichen, und darüber hinaus sechs weitere Nord-Süd-Verbindungen aufweisen. Revolutionär war aber: das Fahren auf den Highways würde weitgehende automatisiert verlaufen. Heckkollisionen, so prophezeite Dr. Miller McClintok, Direktor des Büros für Straßenverkehrsforschung der Harvard University, würden der Vergangenheit angehören.

„Wenn Sie das Bremspedal eines Autos der Zukunft betätigen, wird ein Bremslicht betätigt, das Infrarotstrahlen aussendet. Diese unsichtbaren Lichtstrahlen, die von einer fotoelektrischen Zelle an der Vorderseite eines nachfolgenden Autos aufgenommen und von gewöhnlichem Licht unterschieden werden, aktivieren einen Stromkreis und betätigen seine Bremsen automatisch.“

„Totwinkelassistent“ in den 30er Jahren

Die Welt des Jahres 1988 würde sogar bereits Totwinkel-Assistenten kennen. „Wenn Sie die Auffahrt auf die Hochstraße hinauffahren, gleiten Sie zuerst auf die langsame Sicherheitsspur, kanten in den Beschleunigungsstreifen und drehen das Lenkrad, um auf die Fahrspur zu gelangen. Aber nichts passiert. Ihr Auto weigert sich, auf das Lenkrad zu reagieren, und plötzlich sehen Sie, daß ein anderes Auto mit sechzig Meilen pro Stunde zu Ihrer Linken vorbeifährt.“ Das war, wie gesagt, 1938.

Im Juni 1953 wurde das Thema wieder aufgenommen

In der Juni-Ausgabe 1953 von Mechanix Illustrated wurde die Thematik wieder aufgenommen. Der Autor, George W. Gibson, fragte sich, warum wir immer noch keine „unfallsicheren Autobahnen“ hätten. Jetzt gehen die Erklärungsversuche schon mehr in die Richtung „Autonomes Fahren“. Die berechtigte Frage des Autors: „In diesem Zeitalter der fliegenden Untertassen und 600-mph-Flugzeuge sind Autopiloten als sehr alltäglich akzeptiert . . . für Flugzeuge. Aber warum nicht auch Autopiloten für Autos?“. Gibson ist der Meinung, dass dann die Autobahnen faktisch „crashsicher“ werden würden. Technologisch fusst alles auf dem guten alten Slotcar: ein 30 cm breites Metallband, das in die Mitte der Fahrspur eingelassen ist, fungiert als „Leitschiene“ für die Spurhaltung der Fahrzeuge.

Erstaunlich: Autonomes Fahren gibt’s schon seit fast 100 Jahren?

1953 markierte bereits weit präzisere Prognosen für „unfallsichere Autobahnen“. © Charles Shopsin

Und auch die dafür benötigte weitere Technologie hört sich aus heutiger Sicht gleich viel plausibler an: „Der Autopilot benötigt folgende Ausrüstung: zwei magnetische Erfassungseinheiten, ein Radargerät und einen Motorregler. Diese Einheit würde in Verbindung mit der Servolenkung und dem Automatikgetriebe des Autos funktionieren. Die Detektionseinheiten würden unter der Nase des Fahrzeugs montiert werden, eine auf jeder Seite einer horizontalen Linie, die in Längsrichtung durch die Karosserie verläuft. Der schmalstrahlige Parabolreflektor der Radarantenne, der von einem stromlinienförmigen Kunststoffgehäuse umschlossen ist, würde auf dem Dach oder in der Nase des Fahrzeugs montiert werden.“ Kommt Ihnen das bekannt vor?

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Contidrom 1969: „Todesmutig“ lassen sich Gäste automatisiert auf dem Testtrack in der Lüneburger Heide „chauffieren“

Wir springen ins Jahr 1968 – nach Deutschland

Vor mehr als 50 Jahren war Continental schon recht weit. Auch hier ging’s um das fahrerlose Automobil. Conti, damals in erster Linie als Reifenhersteller bekannt, benutzte auf dem „Contidrom“ elektronisch gesteuerte Testfahrzeuge, um automatisierte Reifentests durchzuführen. Wie in der Zeit üblich, konnte das Testfahrzeug nur ein Mercedes sein. Der Stich Acht der Stuttgarter wurde aufwändig umgebaut, damit er ab dem 11. September 1968 seine Runden auf der Teststrecke in der Lüneburger Heide drehen konnte. Die Technik erinnerte schon ziemlich an die Prognose über den Autopiloten von 1953. Entwickelt wurde das fahrerlose Testfahrzeug für Continental von Siemens, Westinghouse und Forschern der Technischen Universitäten München und Darmstadt. Auch hier fuhr das Auto auf einem Leitdraht. Am Fahrzeug angebrachte Messspulen erkannten das Magnetfeld, welches von dem auf die Fahrbahn geklebten Draht ausging.

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Abenteuerliches Design: die automatische Lenkung. Im Kofferraum befand sich die „Electronic“. Fotos: Continental

Und heute? Teslas Autopilot macht Schlagzeilen

Dazwischen haben sich unzählige weitere Automobilhersteller und Forschungseinrichtungen mit dem autonomen Fahren beschäftigt. Richtig populär wurde das Ganze allerdings erst wieder, als der kalifornische Elektroauto-Hersteller Tesla anfing seine Fahrzeuge mit dieser Technologie auszustatten. Fast 100 Jahre nach der Initialzündung, und mehr als 65 Jahre nach Mechanix Illustrated, ist damit die Speerspitze der Technologie wieder in den USA gelandet. Zeit für die deutschen Hersteller, Boden gut zu machen!

Was ich aber aus dem guten alten Buch „Zukunft“ mitnehme, ist eine anderem viel positivere Grundeinstellung. Dystopien sind gut für Netflix und Co., in der Realität sollten uns nicht leiten. Sie sind kein guter Ratgeber, um die Zukunft zu gestalten. Technik und Wissenschaft sind letztlich die einzigen Möglichkeiten, um einen Planeten, der bald 10 Mrd. Menschen beherbergen wird, lebenswert zu erhalten. Und Dogmen, egal von welcher Richtung, sind da eher hinderlich. 

Autor: Bernd Maier-Leppla
Fotos und Quellen: Continental, Charles Shopsin, blog.modernmechanix.com, Fabian Kröger (Autonomous Driving, Springer-Verlag GmbH), Mechanix Illustrated (Juni 1953), Popular Science (Mai 1938), istock, Wikipedia, Tesla

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