Die Acht scheint in der Evolution des Engineerings von Fahrzeug-Elektroniksystemen eine magische Zahl zu sein. Doch dazu später.
Die deutsche Automobilindustrie sieht sich den größten Herausforderungen gegenüber, die es seit der Einführung der Fließbandfertigung durch Ford gab. Auch diesmal hat ein US-amerikanisches Unternehmen den Stein ins Rollen gebracht: Tesla.
Tesla fordert die deutsche Automobilindustrie heraus
Betroffen sind diesmal aber nicht nur die Hersteller selbst, sondern auch die Lieferanten. Die Umstellung auf den Batterie-elektrischen Antrieb macht viele Komponenten obsolet, auf den Verbrennungsmotor spezialisierte Zulieferfirmen verlieren ihre Kunden. Zudem treibt Tesla eine ganz andere Revolution voran: die der Software-zentrierten Entwicklung des Fahrzeugs. Das eigene Auto erscheint vielen mittlerweile wie ein Smart-Phone auf Rädern; Die Fans der Telsa-Fahrzeuge feiern deren Update-Fähigkeit und die ständigen Downloads, die ihnen kontinuierliche Verbesserung versprechen.
Das „Connected Car“ als Plattform für unzählige neue Dienste hat viele chinesische Investoren und Immobilien-Riesen wie Evergrande auf den Plan gerufen. Der Gedanke, hunderte von Millionen potentieller Kunden täglich direkt zu erreichen, führte in China bereits zur Gründung von mehr als 400 Startups, eines davon sogar mit dem schönen deutschen Namen „Weltmeister“.
Deutsche OEMs reagieren mit Gründung von Software-Unternehmen
Die deutschen OEMs reagieren spät, aber mit Macht. Sie gründen eigene Software-Unternehmen, um den Hauptvorteil von Tesla wettzumachen: den hohen Grad an Eigenentwicklung. VW kündigt an, in Zukunft 60% der Software selbst entwickeln zu wollen und investiert bis 2025 27 Milliarden Euro. Das wiederum trifft Zulieferer wie Bosch und Conti, die heute auch aus chinesischen Fahrzeugen nicht wegzudenken sind. Unter dem Druck des Marktes beschließen zwei Unternehmen eine Allianz, die im Bereich der Fahrzeugarchitekturen bisher keine große Rolle spielten: Bosch und Microsoft. Bosch droht, einen Großteil seines Portfolios zu verlieren, der zukünftige Partner beherrscht trotz eines 20 Jahre alten Tool-Angebots, den Engineering-Bereich – Microsoft Office. 15.000 Mitarbeiter werden von Bosch an die Front geworfen. Allerdings kooperieren auch OEMs wie VW direkt mit Microsoft.
Deutsche Firmen weiterhin Technologieführer
Entschieden wird der Kampf am Ende nicht über schiere Masse, sondern über die Kunst des Engineerings. Tesla ist dabei überraschenderweise nicht der Technologieführer, sondern drei deutsche Firmen. Eine Analyse der Stellenanzeigen von Tesla läßt keine Hinweise auf führende Werkzeugplattformentwicklung erkennen, statt dessen werden Mitarbeiter für die Entwicklungsmethoden der 90er Jahre gesucht.
Der Kampf um die Zukunftsfähigkeit spielt sich für die Öffentlichkeit unsichtbar hinter den Kulissen ab. Er läßt sich nicht von heute auf morgen gewinnen, die Zahl Acht spielt dabei eine weithin unbekannte Rolle.
Elektroniksysteme für Schienenfahrzeuge bilden die Grundlage
Rückblende: Im Schienenverkehrsbereich von ABB erkennt man 1991, daß die Elektroniksysteme in Schienenfahrzeugen immer komplexer werden und von den Entwicklungsteams, die meist nicht mehr als 15 Mann umfassen, nicht mehr zeit- und kostengerecht implementiert werden können. Online-Datenverbindung in die Werkstatt zur Diagnose z.B. des ICE ist bereits Pflicht. Ein Quantensprung im Engineering muß her. 8 Jahre später werden die ersten Fahrzeuge ausgeliefert, die mit einem buchstäblich bahn-brechenden Engineering-System entwickelt wurden. Die von ABB entwickelte CAPE-Technologie (Computer Aided Plant Engineering) führt zu großen Einsparungen, sie reduziert die Entwicklungszeit der Fahrzeugsteuerungs-Software von 6 Monaten auf 6 Wochen. ABB ist den Konkurrenten Siemens und Alstom damit mehr als 10 Jahre voraus.
Bei ABB Transportation sieht man damals Engineering-Software nicht als Produkt. Die Kernmannschaft zieht im Rahmen eines MBO in die Welt der Automobilentwicklung um.
BMW und modellbasiertes Engineering
2001 beginnt unter der Begleitung von BMW die Entwicklung eines modellbasierten Engineering-Systems, von dessen Einsatz sich BMW Einsparungen in Höhe von 1 Milliarde pro Jahr verspricht. 8 Jahre später wird dem Einkaufschef auf der hausinternen BMW-IT-Messe 2009 das erste voll modellbasierte und mit einem Produkt-Daten-Management-System (PDM) integrierte System gezeigt. Eine Ampelsteuerung in Graz wird von München aus direkt aus dem Modell heraus ferngeschaltet.
Wiederum 8 Jahre später steht in Frankfurt auf der IAA 2017 das erste Serienfahrzeug, das mit diesem System und der zugrundeliegenden Methodik des „Virtual Solution Design“ entwickelt wurde: Der EXEED TX. Dieser steht jedoch auf dem Messestand des chinesischen Herstellers CHERY. Die Auto-Motor-Sport titelt „Jetzt wird’s ernst“, niemand lacht seitdem mehr über chinesische Fahrzeuge. Der EXEED TX wurde von einem internationalen Team auf der grünen Wiese entwickelt. Erstmals wurde dabei die gesamte Entwicklung der Fahrzeugelektronik modellbasiert umgesetzt.
Das E/E-Team des CTCS (Chery Technical Center Shanghai) war gerade 15 Mann stark. Zwei davon waren die deutsch-kubanischen Köpfe der Entwicklungsmannschaft des Engineering-Systems ESCAPE, um vor Ort in Shanghai die chinesischen Ingenieure anzuleiten.
Fast 4 Jahre sind seitdem vergangen. Wer die Weichen in dieser Zeit richtig gestellt hat und die nächsten 4 Jahre konsequent nutzt, um über die digitale Transformation der Daten und der Integration der Engineering-Tools zur Automatisierung von Engineering-Aufgaben zu kommen, der wird auch die Herausforderungen der komplexen Software-Projekte der Zukunft meistern.
Die guten Nachrichten zum Schluß: Die drei führenden Hersteller von integrierten Engineering-Systemen kommen alle aus Deutschland. Siemens mit den Werkzeugen der zugekauften Mentor Graphics, Vector Informatik (Stuttgart) nach dem Zukauf von AQUINTOS und 3E-motion (Mannheim) mit der Mutter aller integrierten Engineering-Systeme für E/E im Fahrzeug, ESCAPE. Die Entwicklungsmannschaft, die 2009 dem damaligen Einkaufschef von BMW, Herbert Diess, die Vision vom integrierten Engineering gezeigt hatte und für eine Success-Story nach China gezogen war, ist heute wieder in seinem Team.
Manchmal braucht es keine 15.000 Mann, sondern die richtigen Köpfe mit den besten Waffen.
Fotos: istock, Gigatronik, Chery, VW, Tesla